In Russland bringt Väterchen Frost, begleitet von Snegurotschka, in der Neujahrsnacht Geschenke. Die Feststimmung in der russischen Eiskunstlaufszene ist jedoch zum Jahreswechsel getrübt.
Krasnojarsk.
In jedem anderen Land käme es einer nationalen Katastrophe gleich, wenn zwei junge Athleten, die in ihrer Sportart in den vergangenen Jahren die Weltspitze beherrscht haben, plötzlich nicht mehr zur Verfügung stünden. Nicht so im russischen Eiskunstlauf bei den Damen. Dort kann man es sogar verschmerzen, wenn die Olympiasiegerin und die Silbermedaillengewinnerin von Pyeongchang bei den nationalen Meisterschaften nicht zur Kür antreten. Das Podium nahmen stattdessen drei noch jüngere Läuferinnen ein, die mit ihren technisch anspruchsvollen Programmen bereits beim Grand-Prix-Finale in Turin für einen russischen Dreifachtriumph gesorgt hatten.
Schon vor den Titelkämpfen in Krasnojarsk hatte die amtierende Weltmeisterin, Alina Sagitowa, verkündet, ihre Karriere auf Eis zu legen. Als Gründe für die unerwartete Entscheidung nannte sie mangelnde Motivation und Müdigkeit. "Ich bleibe auf dem Eis, ich werde weiter trainieren", sagte die 17-Jährige gegenüber russischen Reportern. Sie erklärte, dass sie neue Dinge lernen möchte, weil sie bereits alles habe. Das einzige, was ihr derzeit fehle, sei der Wunsch, an Wettkämpfen teilzunehmen. "Wir alle im Trainerteam haben versucht, sie davon zu überzeugen, weiterzumachen", sagte Eteri Tutberidze. Sie ist fest davon überzeugt dass ihre Meisterschülerin aufs Eis zurückkehren wird.
Sagitowas Entscheidung, eine Pause in ihrer Karriere einzulegen, löste eine Welle von Kommentaren im Internet aus und hat Russlands Eiskunstlauffamilie in zwei Lager gespalten, deren Vertreter sich in Spekulationen über das mögliche Comeback oder den vollständigen Rücktritt der Läuferin in die Haare gerieten. Trainer-Urgestein Tatjana Tarassowa glaubt nicht, dass Alina zurückkehren wird. "Um fürs Publikum in der Show interessant zu bleiben, muss sie trainieren, und sie wird es wahrscheinlich tun", meinte die 72-Jährige. "Es ist jedoch traurig, dass die Lebensdauer eines Olympiasiegers nur drei Programme messen." Der zweimalige Olympiasieger Jewgeni Pljuschtschenko vermutet andere Gründe. "Vielleicht zieht es sie in eine neue Trainingsgruppe?" goss der 37-Jährige Öl ins Feuer. Alina verdiene Aufmerksamkeit, die einer Olympiasiegerin würdig ist.
Eteri Tutberidze, die mehrere Weltmeister hervorgebracht hat, nutzte die sozialen Medien, um auf die Kritik zu antworten. "In drei Jahren hat Alina Sagitowa sportlich mehr erreicht als andere Athleten in zehn", entgegnete sie Tatjana Tarassowa. "Es ist eine Schande, dass Sie Alina trotz ihrer bemerkenswerten Ergebnisse ständig kritisiert haben. Wahrscheinlich wollten Sie nur Ihre große Liebe zeigen. In diesem Fall möchten wir dem Rest unserer Athleten ein wenig weniger Liebe und Fürsorge wünschen." Pljuschtschenko erinnerte sie daran, dass er nach der Eröffnung seiner Eiskunstlaufschule keinen einzigen Champion hervorgebracht habe. "Deine regelmäßigen Versuche, gebrauchsfertige Sportler zu kaufen, schaden nur unserer professionellen Arbeit. Du hast es nicht geschafft, Alina anzulocken, egal wie sehr du versucht hast, uns in ihren Augen zu demütigen."
Im verbalen Schlagabtausch ging beinahe unter, dass die zweifache Weltmeisterin Jewgenija Medwedewa sich kurz vor der Kür in Krasnojarsk zurückziehen musste, nachdem während einer Trainingseinheit ein Schlittschuh kaputt gegangen war. Nach dem Anprobieren eines neuen Paares Schlittschuhe - das Einlaufen nimmt normalerweise mehrere Wochen in Anspruch - erlitt sie starke Schmerzen. "Meine Füße brennen. Ich habe alles getan, was ich konnte", sagte die 20-Jährige nach dem Kurzprogramm. Medwedewa blickt bereits auf die nächste Saison voraus. "Jetzt habe ich viel Zeit, ich werde an Shows teilnehmen und mich im Training darauf konzentrieren, neue Elemente zu lernen. Ich werde hart arbeiten und stärker zurückkehren."
Die Goldmedaille bei den Meisterschaften in der Platinum Arena holte sich Titelverteidigerin Anna Schtscherbakowa, die die Zuschauer mit ihrer faszinierenden Kür zur Musik aus dem Ballett "Der Feuervogel" (Igor Strawinsky) begeisterte. Die 15-Jährige hätte mit ihren unglaublichen 261,87 Punkten auch bei den Männern gewonnen. Auf dem Podium wurde sie von Aljona Kostornaja (16) und Alexandra Trussowa (15) flankiert, die ebenfalls bei Eteri Tutberidze trainieren.
Die Trainerfehde im Netz geht zum Jolka-Fest weiter. Die Einzige, die sich nicht dazu geäußert hat, ist Alina Sagitowa, die unbeabsichtigt den größten Konflikt im russischen Eiskunstlauf ausgelöst hat.
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