Doch es reicht nicht einmal aus, um den Personalabbau der Vergangenheit rückgängig zu machen. Ab 1995 sind mehr als 50 000 Pflegestellen abgebaut worden, was 2,5 Milliarden Euro einsparte. Während das Ärztepersonal dann zwischen 2007 und 2015 um 28 Prozent aufgestockt wurde, betrug der Zuwachs beim Pflegepersonal in diesem Zeitraum gerade einmal neun Prozent (ein Plus von 25 000 Stellen). Patientenzahl und Pflegeintensität haben in diesen Jahren deutlich zugenommen. So mag der Reflex zwar einleuchten, verpflichtende Stellenschlüssel für die Pflege einzurichten, doch man wird sie innerhalb der kommenden zehn Jahre nicht in der benötigten Menge auftreiben können, weil nicht genügend ausgebildet werden. Gäbe es heute genügend Pflegekräfte, würde man in deutschen Kliniken auf einen Schlag über 10 000 Kräfte einstellen.
...Untergeordnete Funktion, ungeklärte Kompetenzen und schlechte Bezahlung basieren vielerorts auch auf tradierten Strukturen. Wer einmal im Ausland tätig war, wundert sich, wie wenig Kompetenz Pflegekräften hierzulande zugestanden wird. In Großbritannien werden Pflegekräfte gezielt für Spezialaufgaben eingesetzt. Jene, die über eine Zusatzausbildung verfügen, arbeiten in einer hausärztlichen Praxis mit (in Deutschland so gut wie nie der Fall) und sind mit der Versorgung chronisch Kranker und der Neuaufnahme von Patienten betraut. Nach Vorgaben dürfen sie sogar Medikamente verschreiben. In Frankreich führen Krankenschwestern ambulante Chemotherapie- und Dialyse-Verfahren durch oder verabreichen Medikamente intravenös. In Skandinavien ersetzen sie Ärzte auf dem Land und arbeiten schon lange auf Anweisung, und in den USA leiten sie die Herzkatheter-Labore, nicht die Ärzte. In Deutschland ist das alles nicht gestattet.
Da werden ausgebildete Pflegekräfte in Heimen und Krankenhäusern für Hol- und Bringedienste missbraucht, ihnen werden einfachste Arbeiten übertragen, die auch von nicht ausgebildeten Kräften übernommen werden könnten, und sie werden, auch durch Ärzte, in ihren Möglichkeiten beschränkt. Das demotiviert, verfestigt Hierarchien und ist für die hohen Krankenstände und Berufsausstiege mit verantwortlich. 40 Prozent der Pflegekräfte bewerten laut BKK-Atlas ihre Arbeitsfähigkeit als schlecht oder mäßig, in den Kliniken sind es ein Drittel, 24 Krankheitstage fallen im Jahr an, in anderen Branchen sind es 16.
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