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  1. #46
    Auffe Couch für den BVB Avatar von Jaspis I.O.F.F. Team
    Ort: Doatmund
    Zitat Zitat von Golden Girl Beitrag anzeigen
    Du weißt aber schon, wie es den Menschen in der Weimarer Republik ging? Und auch, wie die Jugend indoktriniert wurde? Vielen blieb auch gar nichts anderes übrig, als in die Partei einzutreten, weil sie sonst ihre Posten verloren hätten und sie hatten Frau und Kinder zu versorgen.

    Nein, ich bleibe dabei, wenn wir diese Generation verteufeln, machen wir es uns zu leicht.

    Seiten wir lieber dankbar, dass uns sowas - bisher - erspart geblieben ist.
    Weimarer Republik - 1918 - 1933
    Ausrufung der Republik am 9.11.18

    In dieser Zeit bekamen Frauen das Wahlrecht. Meine Großmutter und ihre beiden Schwestern machten alle eine Ausbildung und arbeiteten auch in ihren Jobs. Die "Goldenen 20er" fallen in diese Zeit mit neuen Freiheiten, Modernisierung in Architektur, Kunst, Kultur, Alltagsleben. Meine Heimatstadt wuchs und gedieh. Vordergründig gute Zeiten.
    Die Weltwirtschaftskrise betraf nicht nur Deutschland.

    In die NSDAP eintreten musste man nicht unbedingt. Mütterlicherseits hatten meine Großeltern kein Parteibuch. Bei den anderen weiß ich es nicht.

    Es geht nicht um "Verteufeln". Es geht um Hinschauen und Hinhören. Was ist passiert, dass ein Rattenfänger wie Hitler die Mehrheit eines Volks hinter sich scharen konnte? Nur, wenn man die unbequemen Fragen stellt und die Antworten aushält, kann man Ähnliches heute verhindern. Nein, wir sind absolut nicht gefeit davor, einem neuen Rattenfänger ins Netz zu gehen.

  2. #47
    https://derstandard.at/2000090902080...arischen-Nacht

    der ORF hatte mehrere statements von juden, die überlebt hatten, oder von deren kindern.
    besonders bewegend war einer, der damals eigentlich schon am leichenhaufen lag, schusswunden hatte, aber stunden später irgendwie unbeobachtet davon kriechen konnte.

    familienüberlieferungen:
    vor der machtergreifung ging der hunger um, nachher der tod, es wurde voll angst geflüstert.
    jüdische mitschülerinnen verschwanden, wurden auf reisen geschickt usw, auch abschiedstränen.
    schrecken und unverständnis bezüglich der pogrome.
    ein narrativ, dass sich die reichen juden rechtzeitig absetzen konnten. der inhalt von "mein kampf" hatte sich wohl frühzeitig herum gesprochen, es wurde nur sehr verschieden ernst genommen.
    im krieg: viele tätigkeiten damals noch zahlreicher familienmitglieder .. technischer dienst (telefon und funktechnik, zeichnen, uboot motoren zusammen schrauben), piloten-offiziere (alle abgeschossen), sanitäter, spitalsarzt, gefangenschaft, marsch nach hause, kameradschaft..
    fast niemand überhaupt reichte in meine eigene lebensspanne hinein. immerhin meine eltern(ich kam spät), 2 tanten, 2 onkels. vorher waren die ziemlich zahlreich, ne menge geschwister usw...
    ein einziges überlebendes familienmitglied hörte nicht auf, mit den nazis zu sympathisieren. einige waren in alle richtungen eher schweigsam.
    ein grundtenor war auch eine gewisse wut, dass nach dem 1.weltkrieg nicht frieden und wohlstand erreicht werden konnten, und das streben danach eben auf jede mögliche weise versucht wurde.

    in unserer kleinstadtgegend nahe wien gab es sowohl supernazis, als auch viele entschiedene gegner (aber die wenigsten wagten es sich zu rühren), die gegnerschaft war auch irgendwie kulturell bedingt (und anscheinend gabs da einige kellertreffs in einsamen gegenden, teils kommunisten),
    und die meinung über die russen war ambivalent, und wurde durchaus am verhalten der nazis relativiert.
    das leben wurde gemeinsam mit den russen organisiert. nach kriegsende gabs aber keine funktionierende logistik, und es war nicht abzusehen, wohin überhaupt nahrungsmittel gelangten und wann. da gab es einzelinitiativen russischer offiziere, die häuserblocks in wien am "gesetz" vorbei mit irgendwas versorgten. auch ohne geld zu bekommen. zb der häuserblock meiner grossmutter hatte während der endkämpfe kollaboriert, es ging um einen aufklärungsjob. das merkten sich die und sandten inoffizielle belohnung.
    Geändert von hans (10-11-2018 um 13:26 Uhr)
    Das Netz hat keine Obergrenze.. Das Schöne: Im Netz ist jede Aussage wahr. -- Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden. (Heinz von Foerster)
    http://www.antiquealive.com/Blogs/Ha...ean_House.html

  3. #48
    vielleicht ein beitrag zu den heutigen neuen fragen und motiven:

    nachdem die katz aus dem sack ist, und ein menschenrecht etabliert ist, da sieht man dann auch einen gewissen wohlstand als sein recht, vor allem wenn man in medien unsäglichen reichtum vorgezeigt bekommt.

    in einer umgebung aus bad-news-media, und klaffendem GINI (die europäer reden ja heute miteinander und schauen sich gegenseitig über die schulter), da steigt die bereitschaft, sich wenn nicht im guten, dann im bösen einen zugang zu diesem reichtum zu verschaffen.
    dann gibt es die klassischen weichenstellungen, wem man etwas nicht vergönnt, oder aus einer art konstruktion der gerechtigkeit wegnehmen will.
    Das Netz hat keine Obergrenze.. Das Schöne: Im Netz ist jede Aussage wahr. -- Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden. (Heinz von Foerster)
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  4. #49
    Igge6
    unregistriert
    Koennen wir bei dem Thema vielleicht on topic bleiben, bitte?

  5. #50
    Ich komme in Frieden. Auf ewig! Avatar von dracena I.O.F.F. Team
    Ort: Mördergrube
    Zitat Zitat von hans Beitrag anzeigen
    vielleicht ein beitrag zu den heutigen neuen fragen und motiven:
    Nein. Nicht in diesem Thread.
    Nein ist ein vollständiger Satz.

  6. #51
    Zitat Zitat von Golden Girl Beitrag anzeigen
    Du weißt aber schon, wie es den Menschen in der Weimarer Republik ging? Und auch, wie die Jugend indoktriniert wurde? Vielen blieb auch gar nichts anderes übrig, als in die Partei einzutreten, weil sie sonst ihre Posten verloren hätten und sie hatten Frau und Kinder zu versorgen.

    Nein, ich bleibe dabei, wenn wir diese Generation verteufeln, machen wir es uns zu leicht.

    Seiten wir lieber dankbar, dass uns sowas - bisher - erspart geblieben ist.
    Bei mir persönlich ist es kein Verteufeln. Sondern ein "einfach nicht verstehen" können. Ich versuche das schon seit Jahrzehnten. Aber es will mir nicht in den Kopf.

    Vor einigen Tagen hörte ich ein Radio-Feature über die "Aktion Erntefest"; die Massenerschießung von 43.000 Juden an einem Wochenende 1943 im polnischen Lublin. Es hat mich besonders angetickt, weil Hamburger Polizisten rangekarrt worden waren, um die Menschen zu ermorden. Man versuchte, die Schüsse mit Schlagermusik aus Lautsprecherwagen zu übertönen. Die Toten stapelten sich meterhoch. Denn als die Gruben voll waren, musste jedes weitere Opfer auf die Vorgänger klettern. Kinder ließ man gleich im Blut ertrinken, um Munition zu sparen. Und derweil schepperten lustige Liedchen von Heinz Rühmann über das Arreal.

    Das erfüllt mich mit einem so heftigen Ekel, dass der Stolz auf (zweifelslos vorhandende) deutsche Errungenschaften immer nur kleiner sein kann als die Scham über den Holocaust. Die Judenvernichtung ist einfach zu monströs. Sie ist unfassbar. Und jeder, der da mitgemacht hat, hat Schuld auf sich genommen. (Ich will nicht sagen, dass den Schuldigen nicht vergeben werden kann. Aber Vergebung ist nur möglich, wenn der Schuldige anerkennt, dass er sie nötig hat - seine Schuld also anerkennt.)

    Und das ist bei den Rechten aus dem Lot geraten: Sie wollen sich in Deutschlands historischen Erfolgen sonnen, aber mit den Verfehlungen nichts zu tun haben (siehe Vogelschiss-Gauland). Wie er kann man nur denken oder argumentieren, wenn man entweder sehr dumm ist - oder von pathologischer Selbstgerechtigkeit. Erich Fromm spricht von Gruppennarzismus. Ich glaube, der geht unter den Rechten und Hutbürgern um.

  7. #52
    Pan narrans Avatar von Proteus I.O.F.F. Team
    Ort: Essen
    Zitat Zitat von Jaspis Beitrag anzeigen
    Weimarer Republik - 1918 - 1933
    Ausrufung der Republik am 9.11.18

    In dieser Zeit bekamen Frauen das Wahlrecht. Meine Großmutter und ihre beiden Schwestern machten alle eine Ausbildung und arbeiteten auch in ihren Jobs. Die "Goldenen 20er" fallen in diese Zeit mit neuen Freiheiten, Modernisierung in Architektur, Kunst, Kultur, Alltagsleben. Meine Heimatstadt wuchs und gedieh. Vordergründig gute Zeiten.
    Die Weltwirtschaftskrise betraf nicht nur Deutschland.

    In die NSDAP eintreten musste man nicht unbedingt. Mütterlicherseits hatten meine Großeltern kein Parteibuch. Bei den anderen weiß ich es nicht.

    Es geht nicht um "Verteufeln". Es geht um Hinschauen und Hinhören. Was ist passiert, dass ein Rattenfänger wie Hitler die Mehrheit eines Volks hinter sich scharen konnte? Nur, wenn man die unbequemen Fragen stellt und die Antworten aushält, kann man Ähnliches heute verhindern. Nein, wir sind absolut nicht gefeit davor, einem neuen Rattenfänger ins Netz zu gehen.
    Ich glaube, gerade der Rechtsruck in der Türkei und in den USA zeigt IMHO deutlich, wie gefährdet auch moderne Demokratien sind.
    Nun sind Erdogan und Trump zwar Beides keine Hitler 2.0, aber die populistischen Methoden mit denen sie ihre (politischen) Feinde oder Volksgruppen verteufeln und kriminalisieren (und dazu dann Terrorismus/-gefahr als Vorwand benutzen) lassen schon stark an die Methoden der NSDAP denken.

    Vor dem Hintergrund denke ich daß Reichsprogromnacht und alles was danach geschah nicht nur als Lehre für die Deutschen dienen sollte, sondern eigentlich Pflichtprogramm in jedem Land ... und nicht mit dem Unterton "bei uns könnte sowas nie passieren" sondern eben vor dem Hintergrund wie schnell sowas auch in einem kultivierten Land passieren konnte.

    Zum Thema eigene Familiengeschichte:
    Macht sicher sehr viel Sinn nachzufragen, wenn man noch Familienmitglieder hat welche die Zeit bewußt miterlebten.
    Meine Eltern waren zu der Zeit noch zu jung. Meine Großeltern die es miterlebten sind mittlerweile alle tot ... von denen hatte nur mein Großvater (mütterlicherseits) vom Krieg erzählt und das war nur von seiner Zeit als Frontsoldat. Meine Großmutter mütterlicherseits hat nie von sich über die Zeit erzählt. (und zu meinen Großeltern väterlicherseits hatte ich kaum Kontakt)
    "We have just folded space from Ix...Many machines on Ix. New machines"

  8. #53
    Golden Girl
    unregistriert
    Zitat Zitat von Jaspis Beitrag anzeigen
    Nein, wir sind absolut nicht gefeit davor, einem neuen Rattenfänger ins Netz zu gehen.
    Genau das meine ich doch.

    Für Leute in höheren Positionen stellte sich die Frage nach dem Parteieintritt erst gar nicht; sie kamen nicht drum herum.

    Die Weimarer Republik steht auch für Hunger, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Und wie hätte denn das Volk wissen können, was Hitler vorhat? 1938 war der Hass auf die Juden längst geschürt. Was übrigens nicht so schwer war, sie waren wohl das meistgehasste Volk auf der ganzen Welt.

    Heute Nacht auf Tagesschau 24 eine Sendung zum Thema: "Wir waren doch Nachbarn".

    Ich will hier keinen Streit provozieren, aber mir persönlich ist die Verurteilung einer ganzen Generation zu einfach und auch ein wenig zu selbstgerecht. Keiner von uns kann sagen, was er gemacht hätte.

    Damit will ich es zu diesem Thema bewenden lassen.

  9. #54
    pflegt ihren Dachschaden Avatar von BlackGirl
    Ort: Kölle
    Zitat Zitat von Golden Girl Beitrag anzeigen
    Ich will hier keinen Streit provozieren, aber mir persönlich ist die Verurteilung einer ganzen Generation zu einfach und auch ein wenig zu selbstgerecht. Keiner von uns kann sagen, was er gemacht hätte.

    Damit will ich es zu diesem Thema bewenden lassen.
    Das Problem ist halt, daß sich deine Relativierungen genauso anhören, wie das was ich von meiner Oma zu hören bekommen habe. Die hat auch immer beteuert, daß sie ja gar nicht getan hat. Es ist die gleiche Art, wie heute die Hutbürger irgendwelche Schuld von sich schieben.

  10. #55
    Zitat Zitat von Igge6 Beitrag anzeigen
    Koennen wir bei dem Thema vielleicht on topic bleiben, bitte?
    brauchst du schon triggerwarnungen, um weiter führende gedanken auszuhalten?
    Zitat Zitat von Golden Girl Beitrag anzeigen
    80 Jahre Reichspogromnacht/Reichskristallnacht

    und ich habe ein ganz schreckliches Gefühl. Wie kann es sein, dass ausgerechnet in Deutschland rechtes Gedankengut sich mehr und mehr einschleicht? Liegt es möglicherweise daran, dass Judenverfolgung, Krieg, Hunger, Vertreibung usw. für junge Menschen endlos weit zurückliegen, praktisch längst "Geschichte" sind?

    ..
    Heute fehlt dieses Stück Realtität. Die "Alten" sterben weg, kaum jemand hört ihnen zu, dabei könnten sie soviel erzählen und wir alle, vor allem aber die Jugend, könnte daraus lernen.
    Zitat Zitat von Proteus Beitrag anzeigen
    Ich glaube, gerade der Rechtsruck in der Türkei und in den USA zeigt IMHO deutlich, wie gefährdet auch moderne Demokratien sind.
    von der vergangenheit zu reden und daran eine kritik des heute zu knüpfen, ist keine sache, die verhindert werden darf...

    tabus und blockaden gehören zu den hauptgründen der schrecklichen ereignisse.
    damit wurde es zur exklusivsache derer, die dies mit leichtigkeit übertraten, weil von ihnen selbst aufgebaut.

    die zukunft ist immer voller potenzieller symmetrien, ping-pongs, und zirkularer bezüge, die noch nicht aufgelöst oder entschieden werden können.
    der siegreiche faktor zwischen strukturen und agenden ist dadurch die ad-hoc dynamik.
    speed kills.

    @Proteus - es ist die ad-hoc dynamik bei trumpismo und neocons nach aussen. und zwischen denen, die ich für sehr bedenklich halte. das haben die zu gut drauf.
    Geändert von hans (10-11-2018 um 15:41 Uhr)
    Das Netz hat keine Obergrenze.. Das Schöne: Im Netz ist jede Aussage wahr. -- Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden. (Heinz von Foerster)
    http://www.antiquealive.com/Blogs/Ha...ean_House.html

  11. #56
    Auffe Couch für den BVB Avatar von Jaspis I.O.F.F. Team
    Ort: Doatmund
    Zitat Zitat von Golden Girl Beitrag anzeigen
    ...

    Die Weimarer Republik steht auch für Hunger, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Und wie hätte denn das Volk wissen können, was Hitler vorhat? 1938 war der Hass auf die Juden längst geschürt. Was übrigens nicht so schwer war, sie waren wohl das meistgehasste Volk auf der ganzen Welt. ...
    (Hervorhebung von mir)

    Golden Girl,
    das ist denn doch zu billig. Es wird mehr als einen Deutschen gegeben haben, der "Mein Kampf", erschienen 1924, gelesen hat. Abgesehen davon war, wie du schreibst, Antisemitismus leider nicht nur in Deutschland wieder an der Tagesordnung.
    Seit 1933 wurde die Schlinge nach und nach enger gezogen, ab 1935 gab es die unsäglichen "Nürnberger Gesetze" und in deren Folge den "Ariernachweis", den jeder Deutsche vorlegen musste. Zur Erinnerung: Schon ein Großelternteil machte dich zum "Mischling".

    Meine Eltern hatten keine Juden im Bekanntenkreis, aber sie haben - als Kinder - sehr wohl mitbekommen, dass Menschen verschwanden, ob freiwillig, weil sie die Möglichkeiten dazu hatten oder gezwungen.

    Als einzige Entschuldigung, nichts zu sagen oder zu tun, lasse ich übrigens die Furcht vor dem von den Nazis installierten Überwachungssystem durch Gestapo, SA und SS gelten. Terror nach innen.
    Es hat schon jemand hier richtig geschrieben: Man musste nicht aktiv mitmachen!

  12. #57
    bohemian barfly Avatar von spector
    Ort: Düsseldorf
    Jetzt, wo ich durch diesen Thread wieder mit dem Thema konfrontiert werde, schäme ich mich fast, nie richtig nachgefragt zu haben. Als Ü-50er entstamme ich ja einer Generation, wo die Großeltern damals in einem Twen-Alter waren (Anfang-Mittzwanziger).
    Mein die Zeit überlebender Opa wurde nach seiner Drogistenlehre direkt in die Armee weggeangelt und hatte das Unglück, exakt immer in die Shitholes des Krieges zu kommen (Stalingrad, Monte Cassino). Da er ein schriftstellerisches Faible/Talent besaß, schenkte er jedem Enkel zur Volljährigkeit ein aus der Erinnerung geschriebenes Kriegstagebuch. Für mich immer noch ein hoher Wert. Denn viele Opas blieben ja nach dem Krieg seltsam stumm.
    Diese Wortlosigkeit gilt freilich auch für die bis heute schier unvorstellbaren Grausamkeiten gegen die Juden. Nun weiß ich nicht, inwiefern die Reichsprogromnacht in Duisburg/Düsseldorf wütete und wieviele jüdische Nachbarn oder Geschäfte es dort gab. Meine Omas meinten nur schulterzuckend: "Bei uns war dat nich. Ha´m wir nix von mitbekommen". Wer´s glaubt. Und das macht mich zornig.
    Denn man muss ja kein Held oder keine Heldin gewesen sein damals. Aber nach Jahrzehnten immer noch so ganz ohne Risiko Scheuklappen zu tragen, sprach für die Mischung aus empathieloser Ignoranz und geducktem Gewissen. Denn in jeder größeren Stadt, vor allem so Industriezentren, war eine jüdische Gemeinde präsent. In Düsseldorf etwa gibt es heute noch neben einem Museum eine Synagoge (nicht weit von mir) , die nach einem rechtsextremen Anschlag zu trauriger Prominenz gelangte und bis dato von Polizisten bewacht wird. Was aber mehr Apell-Charakter als Gefahrenabwendung ist.

    Natürlich habe ich mich auch selbst befragt, wie ich mich damals - überhaupt in der Nazizeit - verhalten hätte und kam zu einem ungemütlichen Ergebnis.

    Denn soweit ich mich zu kennen glaube, bin ich kein Idealist, aber auch kein Feigling. Ich hätte vermutlich wegen meiner Tendenz zur großen Klappe und wohlfeilen Witzen von der Gestapo sturzbesoffen vom Tresen in ein Lager verfrachtet werden können. Nach dem Motto: Eine gute Pointe geht über ein gutes Leben.

    Oder aber ich hätte Karriere in Göbbels´ Reichspropaganda-Ministerium gemacht. Gruseliger Gedanke, aber denkbar wäre es. Denn hier kommen wir zum eigentliche Punkt:

    Wer würde den Tod, das ultimative Ende wählen, wenn er eine moralisch unbequeme Alternative zum Weiteratmen und -Erleben der Welt hätte?
    Geändert von spector (10-11-2018 um 16:56 Uhr)

  13. #58
    pflegt ihren Dachschaden Avatar von BlackGirl
    Ort: Kölle
    Zitat Zitat von spector Beitrag anzeigen
    Wer würde den Tod, das ultimative Ende wählen, wenn er eine moralisch unbequeme Alternative zum Weiteratmen und -Erleben der Welt hätte?
    Ich.

    Ich würd meine Tochter ins Ausland in Sicherheit schicken und dann mich mit aller Kraft für den Widerstand einsetzen. Das klingt jetzt furchtbar heroisch, aber ich hab miterlebt, wie Menschen auf dem Sterbebett Dinge aufs bitterste bereuen. Ich will das nicht erleben müssen. Wenn ich schon sterbe, dann in der Gewissheit nichts in meinem Leben bereuen zu müssen.

  14. #59
    noch ein so nen thread und ich baller dir eine :D Avatar von ruru I.O.F.F. Team
    Meine Großmütter, meine Großväter habe ich nicht mehr kennengelernt, haben nicht unbedingt gern über die Zeit gesprochen, aber woraus sie nie einen Hehl gemacht haben, war das man selbst in den kleinen westfälischen Dörfern sehr wohl wußte, was da abging, dass die jüdischen Familien, wurden sie abtransportiert, in Polen den sicheren Tod erwarteten* und auch die geistig Behinderten ermordet wurden.
    Und auch dass es Angst gab, „die (die Gestapo) hätten uns an die Wand gestellt“, war so eine Aussage, die ich nie vergessen werde, weil lange nach dem Krieg noch nur im Flüsterton ausgesprochen.
    Eins habe ich aus diesen wenigen Gesprächen zumindest gelernt, jeder der sich mit „wir haben doch nicht gewußt“ entschuldigen wollte, war zumindest ein Heuchler.

    *eine meiner Omas war mit Marga Spiegel bekannt, auch noch nach dem Krieg

  15. #60
    die empörung und die guten vorsätze spalten die friedlichen schneller, als die gier die mörder spaltet.

    denn - bevor etwas passiert, gibt es den verdacht und die theorien, vom hundertsten ins tausendste.
    und ist der ausgang aus dem labyrinth weiter rechts oder links vom eingang, den man aus mehreren wählen muss...? oder verendet man schon im inneren?

    der faktor der umgebung wird gerne unterschlagen.
    damals gab es eine umgebung, die sich die geschehnisse immer weniger bieten liess, und sich dann zu alliierten vereinigte.
    zu spät um viel zu verhindern, aber zu einem machbaren zeitpunkt der vergeltung.
    manchmal hat nur das bittere ende eine echte überzeugungskraft...
    Das Netz hat keine Obergrenze.. Das Schöne: Im Netz ist jede Aussage wahr. -- Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden. (Heinz von Foerster)
    http://www.antiquealive.com/Blogs/Ha...ean_House.html


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