Wären die Werke von Relotius vielleicht kontrolliert worden, wenn sie etwas weniger... "politisch korrekt" gewesen wären?
Ich mein` Der hat allen Ernstes für solche Texte den "Deutschen Reporterpreis" erhalten.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-145742868.html
Dafür hätte sich glaube ich R. Pilcher geschämt.
Der Spiegel hat Relotius 2018. Die Süddeutsche Tom Kummer 2000. Der Stern Konrad Kujau 1983.
D.h. bummelig alle 15 Jahre fällt ein etabliertes Blatt auf einen Betrüger rein. Das ist so ungewöhnlich für die etablierten Magazine in Deutschland, dass es jedes Mal extrem hohe Wellen schlägt. Zu Recht selbstverständlich. Aber eben gleichzeitig auch ein Beweis dafür, dass die Presselandschaft in Deutschland recht gesund und vertrauenswürdig ist.
Die Frage ist nicht unberechtigt. Das berühmte Zitat von Hanns Joachim Friedrichs ("Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache - auch nicht mit einer guten Sache ...") wurde ja hier schon erwähnt. Wenn ich da z.B. an Journalistinnen wie Dunja Hayali oder Anja Reschke denke .... wie weit ist das noch neutral? Vielleicht sollten sich Journalisten darauf besinnen, was ihr eigentlicher Auftrag ist.
Btw, die Art und Weise, wie der Spiegel die Affäre aufarbeitet, finde ich auch fragwürdig. Gefühlt wird der Name Relotius in jedem 3. Satz genannt, frei nach dem Motto "hey, unsere Kontrollmechanismen haben zwar komplett versagt, aber schuldig ist ganz alleine er." ME greift das zu kurz - vielleicht muss auch die Frage nach der Existenznot junger Journalisten/Reporter stärker gestellt werden. Inwiefern verstärkt z.B. das freiberufliche Arbeiten den Druck und den Zwang sich zu beweisen, um auch als Kandidat für eine Festanstellung wahrgenommen zu werden.
Geändert von vergas (23-12-2018 um 20:21 Uhr)
Das halte ich für falsch, das ist leider sehr nahe an Relativierung krimineller Energie, ähnliche Argumentationen gab es auch bei den Plagiaten der Doktorarbeiten (gestresste Menschen usw.). In jedem Beruf haben Freiberufler mit Existenznot zu kämpfen.
In fest angestellten Berufen haben Menschen auch Nöte, das wird aber bei kriminellen Handlungen, z.B. Diebstahl von Betriebseigentum sicher nicht mildernd in Betracht gezogen. Ich habe zu dem Fälscher auch nichts gelesen, was in diese Richtung geht. Das war übrigens schon bei Tom Kummer absolut nicht der Fall, der gehörte zu den Spitzenverdienern unter den Freien. Bitte nicht vergessen: der Fälscher hat u.a. für den 'Spiegel' geschrieben, nicht für ein Lokalblatt mit geringer Auflage, wo die Existenznot eher zu vermuten wäre. Persönliche Eitelkeiten scheinen hier eine größere Rolle gespielt zu haben.
In jeder Hinsicht falsch? Wirklich in jeder?
Es geht unter anderem um diese Aussage:
Nach Meinung des prominenten SPD-Politikers Lauterbach das „wichtigste Zitat aus einem der wichtigsten Interviews des Jahres“. Nach Angabe von Frau Lafrenz hat sie nicht nur die Sätze nie gesagt - sie hat noch nicht einmal die Bilder gesehen, die so zu kommentieren ihr unterstellt wird.
Warum wurden diese Aussagen hinzugefügt? Sind sie eigentlich „völlig überflüssig“, wie Ally in Post #55 meint? - Ich denke nicht. Und sie dienen in dem Fall auch nicht (nur) dazu, den Artikel etwas „aufzuhübschen“, ihm durch prägnante Formulierungen ein bißchen Atmosphäre und Emotion zu geben, damit er sich besser liest.
Das Hinzufügen dieser erfundenen Aussagen gibt dem Interview tagespolitische Relevanz, macht aus den Erinnerungen einer alten Dame an frühere Ereignisse Munition für die aktuelle politische Auseinandersetzung. Denn natürlich kann es nur gegen die AfD gerichtet sein, wenn Frau Lafrenz in den Mund gelegt wird „Ich weiß auch, was Politiker im Bundestag nun wieder so sagen. 'Lügenpresse', 'Volksverräter', 'Stolz auf die Wehrmacht'?“
Nicht nur für Herrn Lauterbach machte diese Aussage das gesamte Interview zu „einem der wichtigsten Interviews des Jahres“, auch von vielen anderen wurden diese Sätze (und meist nur diese Sätze) zitiert. Einige Beispiele:
https://www.spin.de/hp/uli1951/blog/id/29814282
https://www.rund-ums-baby.de/aktuell...gte_780433.htm
https://www.frankenpost.de/region/fi...654373,6415967
https://www.kirche-im-swr.de/?page=manuskripte&id=27358
https://www.schwaebische.de/landkrei...,10966244.html
Es ist auch mit Sicherheit kein Zufall, dass von der Spiegel-Online-Redaktion diese Antwort grafisch besonders herausgestellt wurde.
Herr Lauterbach hat insofern durchaus Recht mit seiner Behauptung, dass diese – erfundene – Aussage die wichtigste des Interviews sei (wenn auch in einem etwas anderen Sinn, als von ihm gemeint).
Dafür wurde nicht nur „geschönt und zusätzlich erfunden“, eine Aussage „etwas angespitzt“, sondern durch die Fälschung wird eine ehemalige Widerstandskämpferin ohne ihr Wissen und erst recht ohne ihre Zustimmung für gesellschafts- und parteipolitische Zwecke instrumentralisiert. Zusätzlich dazu, dass dadurch sicher auch der Verkaufserfolg der Zeitschrift und die Anerkennung für den Autor gefördert wird. Missbrauch ist dafür ein treffender Ausdruck. Und dieser Missbrauch betrifft nicht nur Frau Lafrenz persönlich, sondern auch die Erinnerung an die Weiße Rose. Die Veröffentlichung steht unter der Überschrift „Die letzte Überlebende der "Weißen Rose" im Interview“,
im Interview geht es um die Weiße Rose.
Die Bild schießt mit ihrer Überschrift insoweit übers Ziel hinaus, dass nicht der Spiegel, sondern Herr Relotius den Missbrauch beging. Das ist hier aber auch die einzige Hinsicht, in der die Bild an dieser Stelle falsch liegt.
Exzellent, und unübersehbar.
Wer dies nicht wahrnimmt, sollte wirklich mal ein wenig in sich gehen und die eigene Motivation hinterfragen.
Ich habe damals dieses Interview gelesen, und mich gefragt ob meine Wahrnehmung von diesen Dingen vielleicht vollkommen falsch ist, wenn die alte Dame der Weissen Rose diese Sachen so einordnet wie im Interview dargestellt.
Ich fühle mich plump belogen.
Ich glaube, das das Konkurrenzdenken zwischen den ganzen Medienhäuser gar nicht so gross ist und denke mal die fühlen sich alle im gleichen Boot sitzend. Weil im Grunde schadet der Fall nicht nur der Glaubwürdigkeit des Spiegel, sondern allen. Deswegen glaub ich die preschen da vor um von sich und anderen schaden abzuwenden, in dem sie so tun als wären sie so unglaublich glaubwürdig und das ein Einzelfall.
Ich kann es nicht mehr hören, das man alles und jeden in alle möglichen Ecken drängt, die nicht mit der allgemeinen Meinung übereinstimmen. Für mich ist Frau Huß eine völlig integere und glaubwürdige Frau, die an einem Punkt angekommen ist, wo für sie die Arbeit beim MDR vorbei ist aus genannten Gründen, die einen schwarzen Schatten auf den MDR und die öffentlich-rechtlichen werfen. Wo könnte sie das denn mitteilen, ausser in solchen Medien ? Das Interview wurde gut geführt, verlief ruhig und sachlich, das ist für mich entscheident, das gesagte Wort steht für mich im Mittelpunkt. Deswegen ist es mir egal, wo es läuft, hauptsache man erfährt so was, denn es ist wichtig das man sowas erfährt, denn auf die öffentlich-rechtlichen kann man da sicher nicht bauen, das sie die eigene Netzbeschmutzung noch selbst ausstrahlen.
Wie soll man denn in dem Land überhaupt noch Hoffnung haben, das sich was ändert, wenn jedesmal herumgeheult wird, daß man das nicht darf und das nicht, man darf da nicht mit laufen, weil da rechte sind, man darf dort nicht mitlaufen weil da linke sind, man sich dort nicht zeigen darf und dort auch nicht. Es werden doch nur noch Ausreden gesucht.
Welt hat sich hier grundlegend verändert.
Es muss da jetzt leider schon sehr viel passieren, dass Bürger es blickt. "Blicken" geht eigentlich gar nicht mehr, definiert man es nicht mit Vorsicht ggü. jedem journalistem Beitrag, absolut jedem journalistischen Beitrag.
Vor allem, der gemeine Bürger, die Mehrheit, hat es immer weiter bis zur echten Möglichkeit, es zu blicken in einem "normalen" Arbeitsleben. Das wissen die Trumps dieser Welt und nutzen es aus. Am Ende des Tages gibts allenfalls noch Tagesschau oder heute, und hier wird nationales Wahlvotum bestimmt für die Mehrheit der Menschen. Absurd. That´s kapatalism also.
Dies alles hochgefährlich bis in Menschheit insgesamt bedrohliche Konflikte hinein.
Wer etwa für die jüngste Eskalation in der Ukraine-Krise verantwortlich ist, werden wir nie erfahren.
Thadeuz um zig Ecken!, wer soll das verstehen.
Geändert von pantoffel_3 (25-12-2018 um 07:23 Uhr)
Dankeschön für diesen Deinen aus meiner Sicht überaus wertvollen Beitrag.
Dabei geht nicht um Beleuchtung von Nationalsozialismus oder Chemnitz.
Dein Beitrag stellt aktuellen Journalismus in den Fokus der Debatte, und es ist dies mitnichten ein Einzelfall. Nicht in der Dimension, aber tagtäglich zu erleben, bestimmend Quote und Headline, Wahrheit nebensächlich. Das Ganze dann auch noch aufgeplustert bis zum geht nicht mehr.
Ich möcht an der Stelle nur mein Bedauern zum Ausdruck bringen, dass diese Thematik kaum wen erreichen wird.
Schickt Trump einen Tweet um die Welt, wird in Mehrheit an- und aufgesprungen.
Dies gab es schon mal. Damals waren es vor allem Radios.
Heute gibt es viel mehr Medienpräsenz, ändern tut es tatsächlich nichts.
Ein jeder hört, was er hören will.
Was will Mensch hören und warum?
Vieles menschenverachtend heuchlerisch, aber der Heucher kassiert Stimme.
Wer schlimmer, der Heuchler oder sein Wähler?
Nicht mit Worten auszudrücken, wie die Dame, Quell Deines Beitrags, von Journalismus mißbraucht wurde, im Kontext des größten Verbrechens an Menschheit überhaupt.
Geändert von pantoffel_3 (25-12-2018 um 08:15 Uhr)
Amüsant ist, dass nun auch Artikel aus 2011 von Claas Relotius Satz für Satz überprüft werden. Normalerweise ist ein journalistischer Text innerhalb kürzester Zeit veraltet und das Papier auf dem er steht wird zum Einwickeln von Fisch benutzt. Im Alter von 33 Jahren als Journalist in 8 Sprachen einen Wikipedia-Artikel zu haben, ist schon eine Hausnummer. Die ganze Sache wird sicher verfilmt. Der Mann wird eine Legende, im Negativen.
Der Schaden ist gewaltig. In der neuesten SPIEGEL-Ausgabe erfreute ich mich an einem Text und dachte zuerst, "man, das war gut beobachtet" um mich dann zu fragen, ob es noch weitere Relotiusse gibt, und dieser text vielleicht aufgehübscht, quasi "relotiert" war.
Es stellt sich schon die Frage, ob der SPIEGEL nicht doch noch länger einen immensen Vertrauensverlust erleiden wird, dann könnte der Relotius-Fall ein Debakel werden, wie 1983 die Hitlertagebücher für den STERN.
Den sog. "Meinungsjournalismus" gibt es schon immer.
Im Gegensatz zum neutralen, sachlich informierenden Journalismus, bezieht der Schreiber/Journalist dabei eine Position und (be)wertet.
Wäre für mich theoretisch weniger ein Problem.
Wenn es a. ausgewogen und b. immer klar als solcher gekennzeichnet wäre.
Insgesamt habe ich den Einruck, als würde damit(Meinungen machen anstelle von neutralem Journalismus) mehr und mehr offen umgegangen.
Man(große Teile der Presse) steht dazu, dass man eine Meinung hat, diese für ultimativ richtig hält, und dass das Volk/der Leser das gefälligst zu fressen hat.
Beispiel?
https://www.welt.de/kultur/article18...oertliche.html
"Robert Menasse" ist sicher kein Unbekannter, und erwidert, nach dem er überführt wurde Zitate vollkommen frei erfunden zu haben: "Was kümmert mich das Wörtliche“.