Gratwanderung zwischen Pflicht, Wahrheit und Freundlichkeit

[Sara Sidle]

Da sind eine Menge Beispiele dabei, wo man m.E. eher die Pflicht hat, die Klappe zu halten.

Ob der Höcker auf der Nase, kleine Brüste, Fältchen um die Augen, Gewicht etc. schön sind oder nicht ist ohnehin eine Geschmacksfrage. Ich finde nicht, dass es mir zusteht, jemandem so etwas zu sagen.

Die Frage ist ja immer: was hat mein Gegenüber von meiner "Ehrlichkeit"? Kann er irgendwas damit anfangen, außer sich schlecht zu fühlen.

Wer ordentlich zugenommen hat z.B., weiß das in der Regel. Ich biete da keine wirklichen News, wenn ich das thematisiere. Also keinen Mehrwert. Er/sie wird auch nicht leichter abnehmen, nur weil ich (und im schlimmsten Fall noch X andere Leute) was dazu sagen.

Es gibt einige wenige Ausnahmen - aber in der Regel kritisiere ich Äußerlichkeiten nicht. (Nicht mal gedanklich.)

zu allem.

NIEMALS würde ich überhaupt Äußerlichkeiten ansprechen und schon gar nicht welche, für die man gar nichts kann bzw. gegen die man nichts oder nur sehr schwer etwas machen kann. Zu kleine Brüste, im Ernst jetzt?? Würde jemand aus meinem Freundeskreis mich auf meine Brüste oder meine Falten ansprechen, wäre die-/derjenige wahrscheinlich die längste Zeit Teil meines Freundeskreises gewesen.

Und auch bei Dingen, die man ändern kann (Frisur, Klamotten), würde ich nichts sagen. Entweder meiner Freundin gefällt ihre neue Frisur, dann ist es doch prima, auch wenn sie mir nicht gefällt, oder sie ist unglücklich damit, dann mache ich es ja nicht besser, wenn ich auch noch sage, dass es scheiße aussieht.

Generell: Ehrlichkeit ist prima, keine Frage. Aber manche Leute feiern sich für ihre Ehrlichkeit und merken gar nicht, dass sie einfach nur arschig und verletzend sind.

[Marc]

Die Frage ist ja immer: was hat mein Gegenüber von meiner "Ehrlichkeit"? Kann er irgendwas damit anfangen, außer sich schlecht zu fühlen.

Das hier ist aus meiner Sicht die entscheidende Frage, die man sich immer stellen sollte.

Wenn der Gegenüber mit meiner konstruktiven Ehrlichkeit etwas anfangen / umsetzen kann, dann macht es schon Sinn. Zb wenn ich mit meinem Partner noch zu Hause vor dem Spiegel stehe und er etwas unvorteilhaftes anhat, dann kann ich das durchaus kommentieren und noch einen Wechsel der Klamotten vorschlagen, das ist ja noch nicht „zu spät“.

Meine Mutter hat aber zB die Angewohnheit, mir unreflektiert auf Parties zu sagen „oh heute siehst du aber ganz schön müde aus“, wo ich ihr dann auch schon gesagt habe „Mama, was kann ich mit dieser Aussage denn jetzt bitteschön anfangen, außer mich schlecht und noch müder zu fühlen“.

Ich habe einen recht dicken Freund und ich weiß das er selber damit schon unglücklich ist. Was hätte ich jetzt davon, wenn ich ihn proaktiv auf sein Gewicht anspreche und sage „hör mal du wirst ja immer dicker, willst du nicht langsam mal Diät machen?“.... das wäre so eine Ehrlichkeit die kein Mensch braucht.

[Sabuha]

Zu kleine Brüste, im Ernst jetzt??

Sowas kommt so ganz nebenher.
Das Kleid kann ich nicht tragen, weil das so extrem spannt. Aber du hast ja einen kleinen Busen, dir passt das bestimmt!

Oder: Nein meine Liebe, du solltest dir kein Corsagenkleid als Abendkleid holen, weil du einen kleinen Busen hast. Dann sieht es aus, als hättest du nichts.
Kauf lieber ein Kleid in A-Linie. Das verdeckt auch deinen dicken Hintern.

Sowas

Alles lieb gemeint

Kennt ihr sowas echt nicht?

[Zehnkämpferin]

Kennt ihr sowas echt nicht?

Nein.

[Elaine]

Ich möchte hierauf eingehen.
Nehmen wir als Beispiel wirklich mal eine krumme Nase.
Person x leidet darunter bzw. hat eben mal mehr und mal weniger Komplexe deswegen und sagt immer wieder "Wenn ich nicht so ein Schisser wäre, würde ich das operieren lassen".

y sieht ästhetische Eingriffe ganz pragmatisch. y bestärkt sie darin, dann diese OP zu machen, was ja zu mehr Wohlbefinden führen würde.
z sieht ästhetische Eingriffe kritisch und findet es nicht gut, dass Äußerlichkeiten so sehr Gewicht bekommen und versucht, die Nase schönzureden.

Beide sind ehrlich und beide meinen es gut.
Aber z (du und ich) fühlen uns netter, weil wir versuchen, Zuspruch zu schenken. Die Risiken einer OP usw. - wir reden dagegen und nehmen ja womöglich einen Lösungsweg weg?
Aber ist vielleicht y die nettere Person, weil sie das Leiden ernst nimmt, nicht runterspielt und die möglichen Lösungswege nicht schlechtredet?

Ich kenne die Nasendiskussion von einer Freundin und hab da gefragt: was spricht dafür, was dagegen, was erhoffst du dir, was fürchtest du? Ich höre mir das alles an und verstehe die Argumente auch gut, dann frage ich: "und wie hast du dich entschieden?" Wenn noch nichts kommt, ist offenbar der "Ist-Zustand" doch der beste. Irgendwann hatte sie dann Frieden mit ihrer Nase geschlossen und hatte gar kein Problem mehr damit. Wenn sie sich hätte operieren lassen, auch gut. Für mich war das Problem nie eins. Ich mochte sie mit der Nase gern. Ich verstehe aber, wenn jemand anders ein Problem damit hat, nur liegen alle Risiken ohnehin bei ihr.

So was will gut überlegt sein. Ganz oft ist das eigenen Reden schon ein Punkt, der einem selber klar macht, wozu man neigt, auch wenn man es vorher nicht wusste. Oft ist das ja im Hirn so ein Gemisch von für und wider und verschiedenen Eindrücken. Wenn man es jemandem erzählen will, muss man aber klar werden. Und oft wird man es sich schon in dem Moment, in dem man es selber erzählt. Was ich bei meiner Freundin/Bekannten möchte ist, dass sie etwas findet, womit sie leben will und nicht was, was mir als Außenstehende gefällt. Vielleicht hab ich einen ganz anderen Geschmack als sie und dann finde ich auch nicht gut, sich an mir orientieren zu wollen. Verstehst du, was ich damit meine?

[Tante Charlie]

Ich quatsche gerade mit meiner und höre plötzlich "Das hat Sabuha auch".
Hä - was hat Sabuha?
Hat sie mir erklärt. Ich weiß nicht, was SIE da hat, ich weiß auch nicht, was ich da haben soll. Flecken sind es nicht, Falten sind es nicht. Irgendeine Delle. Da, wo mein Wangenknochen aufhört, würde es dann Richtung Augenwinkel abfallen
Da war ich dann sickig.

Da wäre ich auch sauer. Das geht gar nicht.

Kennt ihr sowas echt nicht?

Nein.

Ganz schlimm finde ich auch wenn man jemanden auf etwas aufmerksam macht, was zwar ein Missgeschick war aber jetzt nicht mehr zu ändern ist. Ich habe mich mal morgens im Job mit Kaffee vollgekleckert. Wenn dann irgendwann der 10. Kollege sagt, dass man da und da Flecken hat, nervt das. Ich WEISS das. Aber ich habe nun mal keine Wechselblusen dabei.

[dedeli]

Sind es dann Äußerlichkeiten? Dann würde mich das schon interessieren.

Nein, ich meinte damit nicht Äußerlichkeiten. Aber wenn sich z.B. jemand daneben benimmt, dann kann ich sehr deutlich werden.

Oder anderes Beispiel von heute Mittag mit einer Kollegin, mit der ich befreundet bin. Sie macht viele Dinge zu ihren eigenen Problemen, die nicht ihre Probleme sind und an denen sie auch nichts ändern kann. Aber sie stresst sich deswegen total rein. Sie schätzt meinen Rat generell und findet es so wie heute auch gut, wenn ich ihr sehr offen meine Meinung dazu sage, wenn sie mal wieder damit beginnt, etwas zu ihrem eigenen Problem zu machen.

Sowas kommt so ganz nebenher.
Das Kleid kann ich nicht tragen, weil das so extrem spannt. Aber du hast ja einen kleinen Busen, dir passt das bestimmt!

Oder: Nein meine Liebe, du solltest dir kein Corsagenkleid als Abendkleid holen, weil du einen kleinen Busen hast. Dann sieht es aus, als hättest du nichts.
Kauf lieber ein Kleid in A-Linie. Das verdeckt auch deinen dicken Hintern.

Sowas

Alles lieb gemeint

Kennt ihr sowas echt nicht?

Nein, ich kenne sowas nicht, nichtmal in abgemilderter Version.

Äußerlichkeiten spielen bei uns im Freundeskreis keine große Rolle, ich kenne auch niemanden, der eine Schönheitsop gemacht hat, wenn man jetzt mal von tätowiertem Make-up absieht. Wenn wir im Freundeskreis über Äußerlichkeiten reden, dann wertschätzend. Wir machen uns durchaus mal Komplimente, wenn z.B. eine Freundin ein neues Kleid trägt, das mir super an ihre gefällt, dann sag ich ihr das auch. Aber wie gesagt, Äußerlichkeiten spielen darüber hinaus nicht wirklich eine große Rolle.

Und wenn jemand explizit nach anderen Meinungen fragt, äußert man sie. Ich hab auch schonmal eine Kollegin gefragt, wie sie meine neue Haarfarbe findet, ob die rötlich wirkt, und dann hab ich auch kein Problem, wenn sie das ehrlich beantwortet, deshalb frag ich sie ja Aber auch da macht der Ton die Musik. Zwischen "Boah, wie konntest du dir nur so ein häßliches Kleid kaufen, in dem dein fetter Hintern richtig rauskommt." und "Mir gefällt es nicht und ich denke, dass dir ein anderer Schnitt besser steht." liegen dann doch Welten.

Edit:
Und auf z.B. Spinat zwischen den Zähnen, offener Reißverschluß weise ich auch hin. Das möchte ich umgekehrt auch wissen.

[Elaine]

Ich bin mal auf dem Weg zur Arbeit vor langer Zeit mal einem jungen Mann begegnet, der an der Lederjacke eine Slipeinlage kleben hatte. Ich hab ihm gesagt, dass er da was hat und er hat sie abgemacht und mich noch dankbar und etwas peinlich berührt angelächelt. Meine Kollegen haben zwei Lager gehabt: "ich würde das so schnell wie möglich wissen wollen, damit mich nicht jemand damit sieht, bei dem es mir noch peinlicher ist" und "ich wäre lieber den ganzen Weg durch die Stadt gegangen und hätte es unbeschwert nicht gewusst". Ich hatte damals gar nicht überlegt, aber der zweite Punkt hatte auch was.

Ich glaube, man handelt dann nur aus der Gesamtsituation heraus. Wie guckt jemand, wie ist die Situation usw. Ich könnte nicht mal jetzt sagen, ob ich das generell so machen würde. Ich könnte mir beides vorstellen.

[FrauSchatz]

Ganz schlimm finde ich auch wenn man jemanden auf etwas aufmerksam macht, was zwar ein Missgeschick war aber jetzt nicht mehr zu ändern ist. Ich habe mich mal morgens im Job mit Kaffee vollgekleckert. Wenn dann irgendwann der 10. Kollege sagt, dass man da und da Flecken hat, nervt das. Ich WEISS das. Aber ich habe nun mal keine Wechselblusen dabei.

Andererseits habe ich schon öfter gelesen, daß jemand sagte: "den ganzen Tag bin ich mit offener Hose/Fleck auf Bluse/Pullover falschrum.. rumgelaufen und keiner hat mir Bescheid gesagt "

Wie mans macht, macht mans falsch..

[Elaine]

Kennt ihr sowas echt nicht?

Nein, auch nicht mal im Ansatz.

[Tante Charlie]

Ich bin mal auf dem Weg zur Arbeit vor langer Zeit mal einem jungen Mann begegnet, der an der Lederjacke eine Slipeinlage kleben hatte. Ich hab ihm gesagt, dass er da was hat und er hat sie abgemacht und mich noch dankbar und etwas peinlich berührt angelächelt. Meine Kollegen haben zwei Lager gehabt: "ich würde das so schnell wie möglich wissen wollen, damit mich nicht jemand damit sieht, bei dem es mir noch peinlicher ist" und "ich wäre lieber den ganzen Weg durch die Stadt gegangen und hätte es unbeschwert nicht gewusst". Ich hatte damals gar nicht überlegt, aber der zweite Punkt hatte auch was.

Ich wähle Möglichkeit 3: Ich hätte es gern gewusst aber mir wäre es unangenehm, dass derjenige, der mich nett darauf aufmerksam gemacht hat, es all seinen Kollegen weitererzählt

Nein ernsthaft: Respekt. Ich glaube, ich hätte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht.

[Sara Sidle]

Kennt ihr sowas echt nicht?

Ebenfalls nein.

Und ich bin auch wirklich - hm, ich ringe um das richtige Wort: überrascht ist zu schwach, entsetzt zu stark -, dass Schönheits-OPs offenbar bei "Normalos" schon so normal sein sollen.

[FrauSchatz]

Und ich bin auch wirklich - hm, ich ringe um das richtige Wort: überrascht ist zu schwach, entsetzt zu stark -, dass Schönheits-OPs offenbar bei "Normalos" schon so normal sein sollen.

Bei vielen Mädchen im Alter um ca. 17/18/19/20 ist das leider inzwischen so

[Tante Charlie]

Bei vielen Mädchen im Alter um ca. 17/18/19/20 ist das leider inzwischen so

Ich kenne auch welche in meinem Alter (Ü40), da war der Leidensdruck aber sehr groß.

[FrauSchatz]

Ich kenne auch welche in meinem Alter (Ü40), da war der Leidensdruck aber sehr groß.

Das empfinde ich als etwas anderes und kann mir vorstellen, daß dann eine OP auch helfen kann.
Aber bei den jungen Mädels ist es eher ein Streben nach irgendwelchen Idealen, die sie auf instagram, youtube, usw. gezeigt bekommen und denen sie hinterherhecheln, in der Meinung, nur so Anerkennung zu bekommen. Dabei sehen sie jetzt schon teilweise irgendwie alle gleich aus