Veränderungen gab es so einige in diesem Jahr für mich und dies Alles, nachdem die erste Hälfte des Jahres eine der beschissensten Zeiten meines Lebens war, in der ich mich dauernd verstellt habe. Warum es mir so ging? Ich trug seit meiner Kindheit Lasten mit mir rum… ich war immer ein wenig speziell, konnte vor der Einschulung schreiben und lesen, ich wusste schon mit sieben Jahren, dass ich schwul bin und verfolgte mit neun Jahren die Debatte zum EU-Beitritt der Schweiz.
Anders zu sein ist gerade so jung sehr schwierig und ich passte weder so richtig in eine Nerd-Ecke noch in irgendeine andere Nischen-Szene so richtig hinein. Richtig aus der Bahn geworfen hat mich dann aber erst mit elf Jahren der Tod meines Bruders.
Schon ein oder zwei Jahre zuvor hatte ich beschlossen, nichts mehr zu fühlen, um meine Probleme im Umgang mit anderen Menschen besser wegstecken und mit dem Gedanken abschließen zu können, überhaupt jemals jemanden zu finden, den ich lieben kann und der mich liebt. Das damals noch stärker verbreitete Bild über den typischen Schwulen und die Häufigkeit dieser «Störung» war für mich einfach nur abschreckend, doch meine Sehnsucht danach schon früh sehr gross.
Mit meinen Bemühungen war es schon so weit, dass ich wirklich nichts fühlte als mein Vater mit der Nachricht vom Tod meines Bruders nach Hause kam. Ich fühlte nichts, ausser der Schuld, nichts zu fühlen und nicht an seiner Statt gestorben zu sein. Ich war der nicht Funktionierende von uns Beiden, er liebte das Leben, ich nicht. Warum hatte es dann nicht mich getroffen, statt ihn?
Diese Frage war der erste Stein der Schuld, den ich mir auf den Rücken lud und es sollten viele folgen… und eben Anfang dieses Jahr war ich soweit, dass ich am Ende war und mich nur noch durchs Leben schleppte. Ich war wieder an diesem Punkt angekommen, an dem ich schon oft in meinem Leben war: Ich lebte nicht mehr für mich, ich lebte nur aus dem Gedanken heraus, was ich anderen, denen ich etwas bedeutete mit meiner «Nicht-Mehr-Existenz» antun würde. Die Bürde war zu schwer geworden, zu sehr verfolgten mich alte Schulden, Vorwürfe für Dinge, die ich mir nie verziehen habe, wie dass sich mein Ex-Freund vermutlich wegen mir umgebracht hat… wirklich Gewissheit habe ich deswegen weiterhin nicht. Ich weiss, das er wohl gestorben ist, aber über das Warum weiss ich nichts.
Nun… Selbst im Urlaub im Sommer war ich immer dankbar, wenn ich mal allein für mich war und ich mir die Maske sparen konnte, nicht so tun musste, als ob es mir gut ginge. Sich beschissen fühlen ist für sich allein genommen schon schlimm, sich beschissen fühlen unter gut gelaunten Leuten, deren gute Laune man nicht verderben will… naja, ihr könnt es euch denken.
Doch dieser Urlaub war dann auch die Wende: Wir trafen gegen Ende in Wien zwei alte Bekannte, die auch einiges in ihrem Leben durchgemacht haben, die merkten, dass etwas nicht stimmt und bei denen ich daraufhin Kraft tanken konnte.
Ich nahm daraufhin allen meinen Mut zusammen und führte endlich – nach zwei weiteren Urlaubstagen und einem tollen Konzert von Bodo Wartke
– weiter, was ich schon einmal eher halbherzig begonnen hatte:
Meine Biographie zu schreiben. Ich wollte mich endlich meiner Vergangenheit stellen und mit ihr abschliesssen, wollte den ganzen Ballast endlich abwerfen.
Es folgte eine harte Zeit, in denen ich mich meinen Dämonen stellte und in alten nie verheilten Wunden wühlte, die dadurch oft auf heftigste Art erneut aufbrachen, aber erst so endlich heilen konnten. Vor Allem der verspätete Wutausbruch auf meinen Ex tat mir unsagbar gut. Egal wie sehr ich ihn durch meine ungeschickt angestellte Trennung von ihm verletzt habe, ich hatte es nicht verdient, dass er mir daraufhin seinen Selbstmord ankündigte und er im gleichen Moment den Kontakt komplett abbrach.
Und es gab noch diese andere Sache, die am 6. Juli die für mich bisher beste Zeit meines Lebens einläutete, aber über die rede ich mal nicht weiter.
Sie zeigte mir aber auf, wie unbegründet meine Ängste vor alten Fehlern waren und dass ich nicht mehr der gleiche bin wie damals.
Seinen Abschluss hat das ganze nun mit der Veröffentlichung meiner Biografie gefunden. Zu finden ist diese unter
https://www.nickstories.de/stories/swen/ich.html Dies ist aber ausdrücklich keine Lese-Empfehlung. ^^ Aber fühlt euch frei, sie zu lesen, wenn ihr dies wollt.
Nun ist diese «beste Zeit meines Lebens» leider wieder vorbei und ich wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Dies war jedoch von vornherein abzusehen, dieses Gefühl konnte nicht ewig halten. Es geht mir aber immer noch recht gut und ich blicke weiterhin frohen Mutes in die Zukunft.