In meinem direkten persönlichen Umfeld (Familie, Freunde etc.) geht es mir auch so, da stelle ich keine nennenswerte Veränderung fest. Aber schon bei unseren "Kunden" ist der Unterschied sehr deutlich.
Ich arbeite ja bei einer Gewerkschaft. Da ist es eigentlich logisch, dass Rechtsberatung nur Mitgliedern gegenüber geleistet werden kann (und übrigens auch im Rechtsdienstleistungsgesetz so vorgeschrieben). Immerhin braucht es dafür erfahrene, auf Arbeitsrecht spezialisierte Juristen. Für eine Erstberatung beim "normalen" Fachanwalt für Arbeitsrecht sind rund 200 Euro fällig.
In den letzten Jahren erlebe ich immer häufiger, dass Nicht-Mitglieder bei uns anrufen und völlig selbstverständlich erwarten, dass man sie ausführlich berät - natürlich gratis. Da wird dann oft argumentiert, sie hätten ja "nur mal ne Frage" - ja hallo?! Die Frage mag einfach sein, die Antwort muss es deshalb nicht sein.
Oder sie sagen gar nicht, dass sie kein Mitglied sind, und versuchen, einen auszutricksen. Oder es heißt, wenn sie eine brauchbare Auskunft bekämen, würden sie sich überlegen, beizutreten...
Das war vor 30 Jahren noch nicht so. Damals kam so etwas höchstens einmal im Jahr vor, heute im Schnitt einmal die Woche.
Es gäbe noch zahlreiche Beispiele aus meiner täglichen Erfahrung, die in die gleiche Richtung gehen. Man erwartet Leistung, ohne eine Gegenleistung erbringen zu wollen.
Ach ja: Unsere früheren Chefs haben einen freundlich und höflich angeschrieben, z.B. mit "Liebe Frau XY". Unser heutiger Chef, gut 10 Jahre jünger als ich, schreibt nur noch "Hallo Frau XY" und wenn er mehrere Mitarbeiter/innen anschreibt "Hallo zusammen". Letzteres finde ich persönlich
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Eine ganz andere Form der Rücksichtslosigkeit und Unhöflichkeit kann ich täglich im Straßenverkehr beobachten. Was man hier von Autofahrern, aber insbesondere auch von Radfahrern und E-Scooter-Fahrern geboten bekommt, spottet jeder Beschreibung. Mindestens jeder zweite Radfahrer interessiert sich null für die Ampelphase, Rot wird bestenfalls als unverbindliche Empfehlung betrachtet. Und wenn die Straße nicht genehm erscheint, brettert man ungebremst über den Gehweg, überholt ebenso schnell wie lautlos von hinten die Fußgänger - wehe, von denen geht jemand mal nichtsahnend etwas zur Seite! Schon mehrfach habe ich riskante Situationen erlebt und bin nur mit viel Glück nicht umgefahren worden.
Vor allem aber kann ich mich nicht erinnern, früher je von tätlichen Angriffen auf Ärzte, Sanitäter, Feuerwehrleute etc. gehört oder gelesen zu haben. Polizisten mussten damit wohl schon immer leben, allerdings nicht in dem Ausmaß wie heute. Aber die anderen?
Ich finde das ganz schlimm und frage mich ernsthaft, wohin diese Gesellschaft steuert. Wem nützt das eigentlich, dieser raue Ton und diese egozentrische Ellenbogenmentalität? Gibt es wirklich Menschen, die lieber so leben wollen als nett und freundlich?