Wenn ich den Sinn bzw. das Ziel des Genderns richtig verstehe, soll ja auf dem Wege der Sprache schließlich ein realer, gesellschaftlicher Effekt für die Gleichbehandlung von Mann und Frau sowie die Inklusion bislang ausgeschlossener Trans-Identitäten erreicht werden. Also möchte man per sprachlicher Renovierung ein neues Bewusstsein schaffen, dass eine Zustandsveränderung im Denken und Handeln einer Mehrheit bewirkt.
Die Grundfrage muss also sein: kann das klappen?
Ich habe da in mehrfacher Hinsicht Zweifel.
Die breite Ablehnung des Genderns wird m.E. besonders von der top-down-Vorgehensweise genährt. Seien es bestimmte Medien, Universitäten oder Politiker – sie alle werden (nicht zu unrecht) als elitäre Vertreter ihrer jeweiligen Macht wahrgenommen. Kurz: „die da oben“. Sprach-Regularien von oben nach unten hatten etwa in autokratischen Staaten meist nur so lange Bestand, wie nämliche Staaten.
WICHTIG! Ich möchte jetzt auf keinen Fall Gendern mit offiziell verordnetem DDR-Vokabular vergleichen. Sondern nur klar machen, dass Alltagssprache sich selten diktieren ließ, vielmehr ein natürlicher Prozess war, der sich Obrigkeiten – seien sie noch so moralisch motiviert – entzog. Jedes Volk war immer ein Souverän seiner Sprache. Das erkannte auch der Duden, als er nicht mehr vor- sondern be-schreibend wurde.
Zurück zur Frage. Verändert das Gendern die Gesellschaft? Oder könnte es das, sofern die Mehrheit folgt?
Meine persönliche Antwort:
Ich denke, dass Gendern ist momentan sowas wie der „Atomkraft Nein Danke“-Anstecker aus den Achtzigern. Ein Bekenntnis in Schrift und Wort, wo man zugehört. Ein Soziolekt, der aus Sicht des Benutzenden erst mal moralischen Mehrwert signalisieren will. Als trüge man eine Mini-Ampel um den Hals, die immer Grün zeigt.
Geändert von spector (31-07-2021 um 23:45 Uhr)
@ mieze, dom basoluzzo, cornerback et al.
Mir fiel als teils reiner Mitleser hier auf, dass aus eurer Richtung bei konträren Meinungen oft Wörter wie "dumm, begriffsstutzig, rechts, Querschwurbler, kAFd" etc. kamen.
Reicht es nicht, wenn bei Twitter schon so dumpf polarisiert wird?
Ich würde mir wünschen, dass man sich hier genau liest, und nicht die immer gleichen Schubladen rauszieht. Ich lese alles von euch genau und ändere daraufhin auch teils meine Meinung. DAS ist Diskurs.
Mein Problem ist, dass es immer kleinteiliger werden könnte. Nachweislich werden Rothaarige (schnell gegooglet) auch benachteiligt, sind alle eine Minderheit. Dürfen wir sie "Ginger" nennen, "Redhaired" oder wie. Diese Attidütede wendelt sich ins Nirgendwo, bis man bei den Sommersprossen angekommen ist ("spots" oder "freckles"?)
Irgendwann laufen wir nur noch mit verschnürtem Mund rum und nicken uns höflich zu.
Surprise me with the plausible!
Nein. "Atomkraft, nein Danke" hat die FFFs immer ins Drucksen gebracht. Luisa Neubauer suchte bei dem Thema mit Blicken immer den Ausgang aus dem Anne-Will-Studio. Atomkraft ist Co2-neutral und es werden neue Methoden erforscht, damit der Müll nicht mehr Müll ist. Derweil kaufen wir Atomkraft aus Frankreich, weil die Nordsee nicht genug Wind hat und der gesamtdeutsche Sommer nicht genug Sonne.
Aber auch das gehört in einen anderen Thread.
Geändert von spector (01-08-2021 um 00:35 Uhr)
Surprise me with the plausible!
Ich halte das für einen Irrweg - vor allem dann, wenn eine sich moralisch überlegen fühlende Minderheit es mit teils überheblicher Attitüde einer Mehrheit aufzwängen will. Sehe das in etwa so, wie Svenja Flaßpöhler das in einer "Hart aber fair"-Sendung mal beschrieben hat (ab 47:36, und vor allem die Passage ab 48:52):
https://www.youtube.com/watch?v=bGFaac3ErN0
Die Kommentare unter diesem Video sprechen übrigens Bände. Vor allem die Reaktionen auf Stefanie Lohaus zeigen deutlich, wie derlei Auftritte und Verhaltensweisen den Graben zwischen beiden Seiten immer weiter vergrößern werden.
Ach ja: Der Auftritt des Restaurantbesitzers, der ab 51:08 zu sehen ist, zählt für mich zu den TV-Highlights der letzten Jahre ...
Geändert von trashman (01-08-2021 um 01:38 Uhr)
Wenn Frauenpower, dann richtig ...
Wie die Lohaus in der ganzen Sendung uns belehrt was alles Diskriminierung, Sexismus etc. Ist, um dann auffallend zu Schweigen, als der Koch die ganze Zeit seine Angestellten als Mädels bezeichnet.
So ist das eben, der Koch fällt wohl nicht unter ihrem ideologischen Feindbild
Alter Weißer Mann.
Am Ende feiern immer die Bayern! (Wurst-Uli)
@spector:
Danke für deine differenzierten Kommentare
If we don't succeed in leaving patriarchy behind, this planet is toast.
Spector, unter den Worten kann ich das "rechts" eindeutig bei mir einsortieren (die anderen habe ich m.E. noch nicht verwendet).
Und das ist wirklich so: Ich kann rassistische Kommentare oder rechte Kampfbegriffe ganz schlecht unkommentiert lassen. Ich finde das nicht in Ordnung, wenn das einfach so stehen bleibt (was m.E. zu oft passiert). Ich will das wenigstens benennen. Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit - das treibt mich alles um. Das sind für mich ganz erschreckende Auffassungen und manchmal bin ich fassungslos, wie die krassesten Aussagen goutiert oder mit Smileys garniert werden.
(Ich denk trotzdem mal über Deinen Post nach.)